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touch, 2018/19

 

Kunst im öffentliche Raum, Fotografie auf Gardinenstoff, Triptychon, H3,5m x B6m, Bank für Kirche und Caritas eG, Paderborn

..Yoana Tuzharova entlockt dem Chatten, Mailen, Shoppen und Liken in ihrem künstlerischen Arbeit „touch“ eine ungekannte künstlerische Dimension. Sie macht die Spur der Swipes auf dem Smartphone Display zum malerischen Residuum unseres physisch-digital absolvierten Alltags. Letztlich sind sie auch eine idealtypische Umsetzung des Phantasmas des sich selbst malenden Bildes. Die Swipes haben den besonderen Charme unbewusster Spuren, von denen eine große formale Freiheit ausgeht, da sie nicht auf ein Konzept zurückgehen, sondern den produktiven Rest einer anders motivierten Handlung bieten.
Die an die Helldunkelmalerei – das Chiaroscuro – erinnernde Chromatik zwischen Hellgrau und Schwarz sowie ihr gestischer Auftritt schaffen eine Nähe von Tuzharovas Fensterbildern zur malerischen Anmutung einer ganzen Reihe von Vertretern des Informel. So lässt sich an die dynamischen Leinwände von K. R. H. Sonderborg oder die tachistischen Pinselzüge des frühen Hans Hartung denken, es kommen die schwungvoll gerakelten Kompositionen von K. O. Götz in den Sinn oder auch die wilden Bildbahnen der, allerdings einer jüngeren Generation angehörenden, Malerin Katharina Grosse. 
Wesentlicher Unterschied zu diesen formalen Anklängen ist aber die völlig differente Autorenposition. Um beispielhaft K.O. Götz herauszugreifen: bei ihm formieren sich die Pinselschwünge zu einem streng durchkomponierten Gesamtbild. Dieses betont geradezu den genialischen Prozess der Bildgenese und verweist damit direkt auf ihren Urheber. Aus der genau gegenteiligen Dynamik entwickeln Yoana Tuzharovas Inserts in den Paderborner Fenstern ihre Ausstrahlung: Sie atmen die Leichtigkeit einer gänzlich autonomen, ja autogenerierten Bildentwicklung. Durch die Hintertür kommt die Künstlerin selbstverständlich wieder ins Spiel; denn nicht zuletzt sie ist es ja, die diese Zufallskompositionen auswählt, durch Beschnitt dramatisiert und in Nachbarschaft zu weiteren, gleichermaßen ihrer Auswahl unterliegenden, Bildmodulen setzt. Vollends ins Leere läuft die auf den ersten Blick zu vermutende Verwandtschaft zur malerischen Urgroßvätergeneration, nimmt man die technische Herstellung und Materialität von Tuzharovas Fensterbildern in den Blick. So wie klassischerweise die großformatigen, uns überall umgebenden urbanen Werbemittel produziert werden, so entstehen auch die Bilder dieser Intervention: als digitaler Print auf Stoff. Diese Produktionsweise spiegelt den thematischen Dualismus, der schon im Charakter des Smartphones als Interface angelegt ist: die bedruckten Stoffbahnen verdanken sich einem gleichermaßen digital induzierten, aber analog ausgegebenen Bild, wie die Gesten auf dem Smartphone ihren digitalen Auslösern gegenüberstehen.    
Da diese Stoffbahnen hinter Fensterglas gelegt sind, macht sich ihre Oberfläche allerdings wieder gemein mit dem Look and Feel eines Displays; was den Effekt zeitigt, dass das Glas die Passanten als Reflexionen ins Bild holt. Von dieser Warte aus macht die Arbeit unerwartete Bezüge in Richtung eines anderen malerischen Großkalibers auf und lässt an Gerhard Richters verschiedentliche Spiegelarbeiten denken, wie das unlängst in der Münsteraner Dominikanerkirche installierte Environment „Zwei graue Doppelspiegel für ein Pendel“ oder die berühmten „Acht Grau“. Diese wiederum widmen sich deutlich eingehender den Spiegeleffekten, die bei Tuzharova lediglich einen zusätzlichen, wenngleich wichtigen Layer über die Digitaldrucke legen.  
Der Einbezug des städtischen Treibens über die Reflexionen im Glas ergänzt die Arbeit um eine dialogische Note, die sich perfekt in ihre konzeptuelle Linie einpasst, und betont den Verfremdungseffekt, der sich in der Vergrößerung der Fingerspur bereits andeutet: Plötzlich hat ein Fingerabdruck die Größe eines Kopfes, ja die Summe der Fingerspuren hat mich buchstäblich in der Hand. Dieses irritierende Moment steht der Arbeit gut an; muss sie sich als öffentliches Environment doch gegen eine Vielzahl anderer innerstädtischer Attraktionen behaupten.  
So lässt sich die Intervention „touch“ als Kontemplation über die dystopischen und utopischen Potentiale unserer schönen neuen Welt lesen und reiht sich damit in eine Reihe von Kippfiguren ein, zu denen die Künstlerin eine besondere Affinität hegt und die ein wesentliches Charakteristikum ihrer Interventionen im öffentlichen Raum sind. Es ist der süße Horror unserer dialogisch-diabolischen Kommunikation, dem Yoana Tuzharova in Paderborn ein Denkmal setzt.

Jens Bülskämper: Textausschnitt aus dem Ausstellungskatalog „touch“

 

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