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outsideinsideout, 2018

 

OSB Platten, Schwarze Farbe, Licht, elektrische Verdrahtung; L28 x H1,92 x B1,125m

Wewerka Pavillon, Münster

Es sind nicht die lauen, milden Frühlingsabende oder die Eröffnungen im August und im September, für die ich den Wewerka Pavillon liebe. Nein. Es sind diese eher kühlen, wenn nicht richtig kalten oder die verregneten Abende, womöglich mit Graupelschauer, weshalb ich diesen Ausstellungsort so unverwechselbar finde.

Und damit darf ich zur Sache kommen. Im Zuge der zurückliegenden Documenta 14 in Kassel und Athen haben unterschiedliche Autoren eine Debatte über die Autonomie in der Kunst angeregt. Es müsse wieder mehr über ästhetische Fragen diskutiert werden anstatt über Politik, Migration und Flüchtlinge, über Kapitalismus und Globalisierung. Eine – im Grunde schon mehrere Jahre alte – Unterscheidung zwischen diskursiver Kunst und einer am Markt orientierten Kunst, also zwischen Biennale-Kunst und Messe-Kunst, ist noch einmal bemüht und mit dem Appell angereichert worden, sich in Sachen zeitgenössischer Kunst nicht vor den Karren von Politik und bloßer Moral spannen zu lassen.

In dieser Debatte wird unterschwellig unterstellt, dass die Abkehr von dezidiert politischen, sozialen und ökonomischen Inhalten der Kunst eben dieser eine Rückkehr zur Autonomie ermöglichen werde und sie auf eine Ebene zurückheben könne, auf der sie sich ganz auf sich selbst besinnen kann und sich mit
jenen Paradigmen des Politischen nicht mehr identifizieren oder ausdrücklich auseinandersetzen braucht. Bisweilen hat es in dieser Argumentation und diesen Appellen den Anschein, als stehe eine Kunst mit politischen Inhalten oder Absichten sozusagen naturgemäß in einem Widerspruch zu einer autonomen Kunst, einer solchen, die nur sich selbst reflektiert, sich auf ihr eigenes Aussehen, ihre Form, ihre Materialität konzentrieren kann, weniger auf die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie zustande kommt und auf die zu reagieren sie sich aufgerufen sieht. Ich denke, die Intervention von Yoana Tuzharova im Wewerka Pavillon ist bestens geeignet, in dieser Debatte die Sinne zu schärfen in einer Scheindiskussion, diezwischen einer autonomen Form und einer politischen Implikation oder Aussage einen Widerspruch erkennen will. Relevante Kunst ist immer schon autonom. Sie verdichtet per se Gegenwart in Bildern, die mehr sind als das, was sich darüber erzählen lässt. So jedenfalls verhält es sich in der Arbeit „Outsideinsideout“. Es hieße Eulen nach Athen zu tragen, in Münster das Prinzip ortsgebundener Skulptur und ihrer Geschichte erzählen zu wollen. Doch kommen wir an dieser Stelle um das Zwischenfazit nicht herum: Die am und im Wewerka Pavillon ist ein Beispiel von Site Specifity par excellence. Und zwar im besten Sinne.
Zu den – aus pragmatischen Gründen – kaum hintergehbaren Voraussetzungen des Ausstellungsbetriebs im Wewerka Pavillon zählt die Beschränkung, dass der Raum während auch der Öffnungszeiten grundsätzlich zu bleibt. Die Türen sind mangels Aufsichtspersonal geschlossen. Wir wollten gern rein, aber wir kommen nicht rein. Der gläserne Pavillon ist also per se hermetisch, und genau diesen Zustand durchbricht Yoana Tuzharova gleichsam durch einen 27 Meter langen Korridor, der in einer Diagonalen quer durch den Pavillon führt: quer, weil sich die beiden Türen quer und nicht direkt gegenüber liegen, 1,92 Meter hoch und 1,12 Meter breit, weil dies den Maßen der Türen entspricht. Der Künstlerin blieb bei diesen ortsspezifischen Gegebenheiten keine Wahl, die Maße zu bestimmen, die Türen gebendie Maße vor – wohl aber hatte sie eine eigene Entscheidung zu treffen bei den beiden überstehenden Enden, mit denen der Korridor vorn und hinten über die Türen hinaus in den Außenraum ragt. Dies geschieht: asymmetrisch. An beiden Enden ist der Korridor in jedem Fall lang genug, um beim Betreten die Gewissheit zu zerstreuen, wann man sich, wenn man ihn betreten hat und voranschreitet, denn nun konkret nicht nur in dem schwarzen Gang selbst, sondern zugleich auch im Wewerka Pavillon befindet. Diese diskrete Desorientierung ist integraler Bestandteil der Werkerfahrung – wie ebenso der schwarze Anstrich der OSB-Platten, die sich damit in einen denkbar starken Kontrast zum Fensterglas des Pavillons setzen: Hier der transparente Ausstellungsbau, darinnen der opake Korridor.

Die Beleuchtung im Innern wiederum ist eigentlich pragmatischen Auflagen der Sicherheit geschuldet, läuft den Absichten der Künstlerin aber auch nicht zuwider, besonders abends wie jetzt entfaltet der Blick in die Tiefe des (beleuchteten) Korridors eine eigene Wirkung. Eine Sogwirkung, die sich tagsüber, wie man sich vorstellen kann, komplett anders darstellt. Das gerahmte Bild, das sich am Ende des Korridors zeigt, ist unter Tags farbig, grün, effektvoll und mit einem Tiefensog gerahmt, im Grund mit einem unverhältnismäßig breiten Rahmen gerahmt, und dieser Blick in die Realität führt kunsthistorisch zurück zu Künstlerinnen und Künstlern wie Maria Nordman und Robert Irwin, führt zurück zum kalifornischen Light-and-Space- Movement, nach meiner Erfahrung dagegen sehr viel weniger zu Bruce Nauman, einer anderen möglichen Bezugsgröße der 1960er Jahre, als klaustrophobisch habe ich persönlich die Installation „Outsideinsideout“ nicht empfunden. Überhaupt habe ich diese Installation nicht allein oder auch nur vorrangig als visuelles oder sensuelles Angebot aufgenommen, sondern vielmehr als ein solches, in dem sich unterschiedliche Erfahrungsebenen durchdringen. Es dürfte ja klar sein, dass dieser Korridor von Besuchern frequentiert werden wird, die sich vielleicht darin aufhalten werden, vielleicht
sogar als Schutzraum (im Frühjahr oder im Sommer würde er womöglich noch stärker frequentiert). Zudem aber motiviert doch dieser Korridor von Yoana Tuzharova auch Assoziationen von Keller und Tunnel, die irgendwie politisch konnotiert sind: Man denkt an Tunnelbauten und Fluchtwege im kriegerischen Alltag des Nahen Ostens oder an der innerkoreanischen Demarkationslinie, an geheime Infrastrukturen unter Tage. Zugleich liegt meines Erachtens bei einer wie Bestimmung von Innen und Außen wie in diesem Environment der Gedanke an Inklusion und Exklusion besonders nahe, ein Gedanke, der die gesellschaftliche Realität gerade in diesem Land in den letzten beiden Jahren besonders beeinflusst, wenn nicht gar grundlegend verändert hat. Zugleich drinnen und draußen zu sein: Das dürfte momentan eine Erfahrung sein, die nicht wenige Menschen in ihrer ganzen Komplexität in der eigenen Existenz erleben. Yoana Tuzharovas Installation „Outsideinsideout“ findet dafür ein einprägsames, skulpturales Bild.

Text: Georg Imdahl

 

 

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