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bitte nehmen sie platz , 2020

 

Holz, Lack, Stahl, B162 x H84 x T70cm
Kunst am Rand,
Kunst im öffentlichen Raum, Münster

 

Die Künstlerin hat eine Dreiergruppe von Klappsitzen, wie wir sie aus dem Theater oder Kino kennen, maßstabsgetreu nachgebaut, gänzlich weiß glänzend lackiert und mitten im Wald am Wegesrand aufgestellt. Ihre Skulptur ist in mehrfacher Hinsicht ein Zwitterwesen, und das macht sie so spannend: Zum einen ist sie nur halb- oder pseudofunktional. Es sind Klappsitze, die sich nicht klappen lassen – was bei dem
einen hochgeklappten Sitz dazu führt, daß er seiner Funktion beraubt wird, bei den anderen beiden (heruntergeklappten) aber durchaus erlaubt, daß man die Skulptur als das benutzt, was sie darstellt, also als Sitzmöbel. Damit spielt die Künstlerin raffiniert mit der wechselseitigen Durchdringung von Bild und Gegenstand, von Darstellung und Dargestelltem. Bei Magritte wäre das jetzt keine Pfeife (sondern ein Bild von ihr), bei Tuzharova ist es sowohl kein Sitz (sondern ein Abbild desselben) als auch ein Sitz, weil man ihn genau so benutzen kann. Auch wenn das Sitzen als solches etwas härter ausfällt, da es sich nicht um ein Polster mit Stoffbezug handelt, sondern um viel stabilere Materialien, wie Holz Metall und wetterfesten Lack.

 

Wir können also der Aufforderung des Titels „Bitte nehmen Sie Platz“ getrost Folge leisten und bemerken spätestens dann, daß diesem skulpturalen Objekt eine Umkehrung der Blickrichtung, quasi eine doppelte Perspektive bereits eingeschrieben ist. Entweder wir betrachten das Ding von außen von allen Seiten als dreidimensionalen Kunstgegenstand oder wir nehmen es in Besitz.

 

Wenn wir Yoana Tuzharovas Bank also besitzen, indem wie sie benutzen, dann können wir sie nicht mehr sehen, sehen dafür aber von unserem Kino- oder Theatersessel aus einen Naturausschnitt, der sich so urplötzlich als Kulisse zu erkennen gibt für das gleich beginnende Schauspiel oder als Eröffnungsszene, als „opening shot“ für den Film, der jetzt anfängt. So können wir in aller Ruhe das tatsächliche oder imaginäre Geschehen an dieser lichten Stelle des Waldes verfolgen, die Geräusche, Gerüche und leichten Bewegungen von Wind und Tieren im Laub, vielleicht auch von anderen menschlichen Akteuren, die unser Blickfeld durchqueren, auf jeden Fall wird hier, ganz anders als bei einer gewöhnlichen Sitzbank unsere Erwartungshaltung geschürt, angefacht und angespornt, weil die Form des Sitzes uns ein Spektakel erwarten lässt.

 

Und selbst wenn es ausbleibt, uns das Naturschauspiel langweilt, den erzählerischen Zusammenhang vermissen lässt, uns das Bio-Kino auf der Waldbühne also enttäuscht, können wir uns noch immer erheben und die präzise, unwirkliche Erscheinung von Tuzharovas Skulptur bestaunen, die – ähnlich wie Hans- Joachim Hugenroths Blickfang – als weiß leuchtender Fremdkörper im Wald herumsteht und so einen sinnlich unmittelbaren wie gedanklich hochfliegenden Dialog zu eröffnen vermag zwischen Natur und Kunst.


Stephan Trescher, Rede zur Verleihung des Kunstpreises Kinderhaus am 30. August 2020

bitte nehmen Sie platz , 2019

 

Ausstellungsansicht
Massivholz, Lackfarbe
"Wagnis.Wagner" 
Kunst im öffentlichen Raum, Minden
2018-19

“Wagnis.Wagner”

Kunstprojekt anlässlich des Ring des Nibelungen 2019

bitte nehmen Sie platz

Künst im öffnetlichen Raum

Holz, Lack, Stahl
B162xH84xT70cm
Minden, 2019

Drei Theaterstühle aus dem Stadttheater Minden, sind in realen Maßen aus Massivenholz nachgebaut, Zwei der Stühle sind verwendbar. Der dritter steht zugeklappt und frei. Dieses Element öffnet einen Raum für diskursiven Austausch zwischen unerwartete und geplante Begegnungen und Situationen. Die Skulptur ist in dem Minden- innerstädtischen Raum (eine Shoping Straße, ein Shoping Center) platziert. Durch die Versetzung des Standortes dieser Gegenstände von einem traditionellen theatralischen Kontext in eine neue öffentliche performative Situation, rückt in den Focus die Frage nach der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation, deren Problematik direkt vor unseren Füße stattfindet. Welche Rolle werden wir auf diesem Podium selber mitspielen, steht uns frei. Konsumrausch, Klimawandel, fake news, Migration, “Smartphone addiction”. Die spektakuläre Bühne der Realität bring in der Arbeit eine schöpferische Kraft, die nur durch eine aktive Beteiligung möglich ist. Die Annäherung zwischen einer klassischen Formgestaltung und einem zeitgenössischen Schauplatz ist eins der Fundamente, welches diese Arbeit ausmacht.
Durch die Presenz dieser Skulptur in einer Einkaufsstraße wird man aufgerufen/eingeladen sich zu setzen und aus der dynamischen rauschhaften Situation inne zu halten und zum Zuschauer zu werden. Perpsektivwechsel, Aufmerksamkeit, Reflexion, die Präsenz den Moments bewusst wahrzunehmen. Durch das Hinsetzen entsteht eine Metamorphose. Von Akteur aus dem Wagnis der Straße transformiert man sich in einen Zuschauer, Betrachter des Erreignisses. Steht man auf, so wird man wieder Teil des Spektakels. Die Trennlinie zwischen Bühne und Zuschauerraum werden dabei aufgelöst.
Die Shopping- Meile wird zur Bühne verwandelt. Der kulissenhafte Moment jeder Einkaufsstraße wird dadurch enthüllt/entblößt. Die schicken Leuchtkästen, bunte Markenzeichen und Logos, die prächtig gestalteten Schaufenster bilden eine Arena in der stets um die Aufmerksamkeit des Publikums gekämpft wird.
Die Flut alltäglicher Geräusche, Handlungen, Situationen, zwischenmenschlicher Verhältnisse aus dem hoch frequentierten Stadtkern erzeugen ein dramatisches choreografisches „Gesamtkunstwerk“, auf welches der durch die Skulptur initiierte Perspektivwechel aufmerksam macht.

 

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